Die Momente, die anders sind
Jede Begleitung ist uns eine ehrenvolle Aufgabe. Jeden verstorbenen Menschen, der uns anvertraut wird, begleiten wir mit Herz und Verstand. Jeder Familie und jedem Freundeskreis möchten wir Hilfe und Stütze sein.
Aber ja, es gibt die ganz besonderen Momente! Die Momente, die anders sind. Momente, die auch uns und mich persönlich ganz tief in der Seele berühren…
Vor Kurzem gab es so einen Moment:
Eine Frau in meinem Alter, viel zu jung und völlig unerwartet ist gestorben, musste verabschiedet werden. Die Familie wollte eine lebendige Feier gestalten. Einen Abschied, der natürlich auch traurig ist, aber vor allem an die Lebensfreude und an das Licht erinnert, welches die junge Frau in die Welt brachte.
Der Abschied wurde in einem Gemeindesaal gestaltet, der eine unendlich tolle Atmosphäre hat. In der Mitte, unter der Decke, ein ganz besonderes Bild! Genau darunter, die junge Frau... Im Sarg. Mitten drin... Dabei! Schlicht, natürlich... Und ganz viel Licht!
Im Kreis drumherum: Familie, Freunde, Wegbegleiter. Menschen, die nicht vor Ort sein konnten, holten wir digital dazu. Bilder des gesamten Lebens wurden gezeigt... Tolle Musik ausgesucht... Eine wunderschöne Erinnerungsrede ließ die Menschen eine kleine gedankliche Zeitreise machen. Alte Geschichten wurden erzählt und ja, es wurde gelacht. So geht Abschied!
Und dann... Oft kennt man es, dass am Ende der Abschiednahme der gemeinsame Weg zum Grab ansteht. Der Sarg stehen bleibt und man geht oder der Sarg hinausgetragen wird. Vielleicht geht man dann, wenn gewünscht, zum Beisammensein und weiteren Erinnern in ein Café oder Restaurant. Nicht so an diesem Tag. Die Gedenkfeier war zu Ende, alle fassten an, Tische wurden aufgestellt und Essen und Trinken bereitgestellt... Die Menschen holten sich ihre Suppe, tranken ihren Kaffee und aßen den Kuchen. Mittendrin: Die junge Frau... Im Sarg.
Ich gebe zu, ich hatte vorher Bedenken. Mit einer Urne kannten wir das. Haben das schon öfter gemacht, in kleinen Kreisen, zum Beispiel im heimischen Wohnzimmer. Aber mit dem Sarg... Mit vielen Menschen. Den Wunsch gab es noch nie. Ich fragte mich, wie die Menschen darauf reagieren. Wie sie damit umgehen!?
Was soll ich sagen: Es war, als gäbe es nichts anderes. Es war, als ob es immer so wäre. Ganz normal! Ganz natürlich! Es wurde gegessen und getrunken, auch Sekt. Es wurde erinnert und erzählt, es wurde geweint und gelacht. Mittendrin... Der Sarg… Die junge Frau! Ich bin lange geblieben... Habe mir Geschichten angehört... Habe wundervolle Menschen kennengelernt! Und dann... Ganz spontan: Haben wir mit Vater und Bruder gemeinsam den Sarg, die junge Frau, Tochter und Schwester aus dem Saal in unseren Leichenwagen getragen.
Ein letzter Dienst... Ein wichtiger Weg... Ein unendlich besonderer Moment. Und ich habe wieder gelernt, was mir das Leben als Bestatter und Trauerbegleiter jeden Tag lehrt: Nicht vornehmen, was man tun und leben, was man genießen möchte. Nicht vornehmen... Machen!
Ich mache jeden Tag was ich möchte... Ich lebe! Dafür, verstorbene Menschen mit Respekt und Bedacht zu begegnen, ihnen oftmals die Würde wiederzugeben und einen guten Weg zu bereiten. Und für die Angehörigen und Freunde... Ihnen Helfer und Stütze zu sein... Damit sie sich gut verabschieden können... So, wie es eben zu ihnen passt. So wie heute... Ich liebe, was ich tue. Und ich möchte Ihnen und euch zurufen: Machen, nicht vornehmen... Machen! Das Leben ist schön... Auch, wenn es vergeht (ein Lied von heute).
Herzlichst Ihr und euer Kai Rohlfes